31. Oktober 2015

55 Sekunden

Ich stell mir vor wie du an der Wand lehnst, langsam zwingt dich dein Körper in die Knie. Schwäche. Deine Augen sind blutrot unterlaufen und ich kann nicht genau ausmachen ob das ganze Blut aus deiner Nase oder aus deinem Mund kommt. Dein Kopf schwankt in alle Richtungen und du bist blass. Wahrscheinlich hast du deine Augen schon lange nicht mehr aufgemacht. Die Realität hat dich eingeholt, sich schon längst in dich vergraben und du kannst ihr nicht mehr ausweichen. Jetzt stehe ich vor dir. Du hast nichts mehr unter Kontrolle. Du willst das Blut auf den Boden spucken, aber es fließt einfach nach und nach über deine Lippen, bahnt sich einen Weg an deinem Hals hinunter und färbt schließlich deinen T-Shirtkragen dunkelrot. Ich frage mich ob es dir noch wichtig ist nicht  zu ersticken. Es gelingt dir deine Augen noch einmal für einen kurzen Moment zumindest einen kleinen Spalt weit zu öffnen. Ob du mich vor dir sahst wird wohl niemand erfahren. Ich bin eine gezündete Bombe und jeden Moment gehe ich in die Luft. Ich greife nach deinen Oberarmen und ziehe dich nach oben. Dein leerer Blick versucht meine Augen zu fixieren, aber er schwenkt nur verloren ringsrum und kann keine starre Linie mehr halten. Du hältst dich an der Fassade, willst wieder zu dir kommen. Dein Herz gibt noch nicht nach. Pumpt hastig und verzweifelt weiter. Immerweiter. Immerweiter. Deine Hand will nach mir greifen. Ich hole weit aus und trete dir mit all meiner Kraft in den Bauch. Augenblicklich fällst du wieder zu Boden.  Das Blut kommt dir wieder hoch. Du hustest und schluckst und spuckst und versuchst zu atmen. Ich will dir nicht mehr helfen. Ich setze mich neben dich. Lehne meinen Rücken an die kalte Wand. Beobachte noch kurz deine vergebenen Versuche am Leben zu bleiben. Es dauert nicht lange bis du das Bewusstsein verlierst und dein Kopf liegt auf meinen Beinen. Das Blut läuft dir übers Gesicht und geht seinen Weg weiter an meinen Beinen zum Boden wo es sich gleichmäßig niederlässt. Ich will hier bleiben und die Gedanken in meinem Kopf schweifen lassen. In mir macht sich der Wunsch breit, dass es ruhig anfangen könne zu regnen. Das Wasser würde das Blut ein bisschen weg spühlen, dann könnte ich dich noch ein letztes Mal betrachten. Aber die Realität bleibt bestehen und mein Wunsch geht nicht in Erfüllung.

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