31. Dezember 2022

R.

 Immer wenn ich zu meiner Kalimba greife, muss ich an die Zeit im Nirgendwo vor ein paar Jahren denken. Sie war lauter als die Stille und dir somit meistens zu laut, aber ich habe es geliebt. Ich weiß noch wie du jeden Morgen mit deinem kleinen treuen Begleiter losgezogen bist, um im Tal Wildkräuter zu sammeln. Wenn ich es endlich geschafft hatte, mich aus dem Bann der im Sonnenstrahlen getauchten Mauern und der Pflanzen zwischen ihnen zu winden, warst du längst zurückgekehrt und motiviert, genau so viel an dem Tag zu machen wie nötig sei und so viel Zeit wie möglich den schönen Dingen zu widmen. Die Tage waren so lang, aber viel zu schnell vorbei. Was sind schon Wochen im Sommer? 

Mit der Entscheidung genau zur richtigen Zeit zu dir zu kommen, anstatt ewig in Tagträumen unter dem Apfelbaum zu versinken, eröffneten sich mir endlich neue Wege. Wem sonst, wenn nicht dir, hätte ich erzählen können, dass ich viel zu lange stillstand, sich längst Winde um mich geschlungen hatten und nun, als ich endlich bereit war mich wieder zu rühren, sie sich zu engen Schlingen zuzogen. Ja es hat definitiv eine Waldelfin gebraucht, mich aus dieser Falle zu befreien und ich bin dir so unendlich dankbar für die vielen Male, die du mich mit offenen Armen empfangen, schöne Geschichten und Wissen mit mir geteilt hast und für die vielen Tränen, die du mutig genug warst zu weinen, obwohl dieses Gemäuer so so kalt war. 

Als ich ging, dachte ich daran wie schön zerzauste Haare, sanfte Worte, die Farben des Waldes und die Magie geschlossener Augen sind. Ich kehrte schon im Herbst zurück. Doch du warst bereits verschwunden. Als ich im Sommer darauf wieder im Wald stand, wusste ich, wir haben nie vereinbart, uns hier wiederzusehen. Im Gegenteil, wir wollten beide aufbrechen und all das Alte hinter uns lassen. Schließlich war ich gar nicht mehr verwundert darüber, dass sich unsere Wege anscheinend nicht mehr kreuzten. Du bist schließlich genau dann aufgetaucht, als ich mich verlaufen hatte und nun wusste ich halbwegs wer ich bin und wohin ich auf keinen Fall möchte. Vielleicht sehen wir uns in der Ungewissheit wieder. Insofern freue ich mich auf weniger mehr, als endlich wieder verloren zu gehen.



24. Dezember 2022

Über einen Traum




Hier oben in meinem kleinen Häuschen zwischen dem Baumkronen pfeift ein milder Wind und in mir entfacht der Drang, Ballast abzuwerfen, eh ein neues Jahr beginnt. Die Äste sollen neue Ecken zum Wachsen finden. Ich reiße, wie von der Freiheit besessen, alle Fenster und Türen auf, fege die Blätter hinaus, schüttle die Kissen aus, firnisse die Dielen neu, verschenke alles aus einem alten Leben und steige auf's Dach, um ein neues Ich auszurufen. Ich bitte die Vögel um Vergebung, bedanke mich für den feinen fadenförmigen Regen und hoffe, dass sich die Sonne morgen wieder dafür entscheiden wird aufzugehen, um mir über den Kopf zu streicheln, als wünsche sie mir all das Glück der Welt. 

Auf meine Rufe folgt kein Echo. Der Wald schweigt mit aller Härte, aber er ist geduldig mit mir. Ich wollte nur, dass er weiß, ich will nicht erneut an der Startlinie stehen und hoffnungsvoll zum Ziel blicken. Die Reue längst vergangener Fehler soll nur endlich von mir abfallen, sodass es wieder leichter wird die Arme auszustrecken und sich ganz weit über die Felshänge zu beugen, um zu schauen, wohin mich der Wind wohl tragen wird. 

9. November 2022

Verdreht


Manchmal stelle ich mir vor, du würdest von mir reden, wenn du versuchst, Worte zu finden, wieso du ausgerechnet immer noch an dieser oder jenen Person hängst; Es nach so langer Zeit leid bist, deine Gedanken immer wieder von ihr weglenken zu müssen. Du willst sie impulshaft, schnell und schmerzlos von dir schneiden, wie die Haare auf deinem Kopf, um wieder mehr Leichtigkeit in den Kopf zu bringen. Du weißt genau wie man einen Neustart richtig zelebriert, aber die Gedanken lassen sich kaum resetten, selbst wenn die Verbindung nur ganz fragil ist. Es scheint nur zwei logische Optionen zu geben, ohne große Vorbereitungen gemeinsam weglaufen, um die ganzen kindlichen Faxen nachzuholen, oder loslassen und endlich wieder nach der eigenen Melodie tanzen. Ich fühle dich wirklich, und ich mag die Illusion, dass du ebenfalls ein Band zwischen uns beiden gespannt haben könntest. Doch am Ende muss ich mir eingestehen, dass ich in keiner der denkbaren Perspektiven Teil deiner Geschichte bin.





6. November 2022

Von kalten Fingern und einem warmen Gefühl

Als mir vor ein paar Tagen beim Tragen dieses mit nasser Erde gefüllten 10l Eimers beinah die Finger vor Kälte abgefallen sind, habe ich mir doch endlich eingestanden, dass die warmen Tage vorüber sind und der Winter bald schon an die Tür klopfen wird.
Vor wenigen Wochen haben wir noch auf dem sandigen Boden, zwischen Heidekraut und Spinnen, im Schutz der Felsen, unter dem sternenklaren Nachthimmel geschlafen und ich mich gefragt, ob der kühle Wind mir zumindest eine einzige lebensverändernde Erkenntnis in den Kopf wehen wird, wenn die Wolken so tief hängen, dass ich nur mit Mühe die Häuser im Tal erkennen kann, während wie von Drachenatem verwirbelte Nebelschwaden an mir vorüberziehen.

Heute fand ich mich schließlich am anderen Ende der Stadt auf einem Berg wieder, auf dem ich gar nicht so viel Feld sondern eher Wald erwartet hatte. Doch dann stand ich dort, mit ewig weiter Sicht auf das Gebirge, dessen Berge sich in allen Blaunuancen zerstreuten nur, um am Horizont eins zu werden mit einer flachen Wolkenwand, die ich zunächst ebenfalls für Berge hielt. Vor mir flimmerte der Himmel mit der letzten Kraft der Sonne sacht in orange und lila. Hinter mir folgte der Vollmond, wie er ebenfalls über die Berge wanderte. Und so zwischen Mond und Sonne ist mir plötzlich klargeworden, egal wie oft ich darüber meckere, dass ich als Kind des Flachlandes hier völlig fehlplatziert bin, ein Teil von mir doch immer bleiben wird. So wie ich manchmal ganz nostalgisch an die Kiesgrube und das elendig weite Nichts rechts und links dieses einen Feldweges hinter dem Ort, wo ich meine erste eigene kleinen Wohnung bezogen hatte, sowie an den Eisbach und den Langwieder See zurückdenke, werde ich mich vermutlich auch nach diesem Ort sehnen; Nicht nach dem fehlendem Licht im Winter, wenn die Sonne nur für einen ganz kurzen Moment bis ins Tal vordringt, aber nach dem Gefühl, völlig außer Atem und mit roten Wangen oben auf einem Berg anzukommen und mit der schönsten Aussicht und einem Kuss des Windes belohnt zu werden. Sollte ich mich im nächsten Jahr dazu entschließen, endlich mal ans Meer zu ziehen, dann werde ich den Bergen und vor allem ihren harten Felsen, auf denen ich so oft Ruhe gefunden habe, einen kleinen Bach nachweinen. Es ist dieses Gefühl, das aufkommt, wenn man die Gelegenheit bekommt, in die Ferne zu schauen und zu wissen, dass dazwischen nichts als Natur ist, selbst wenn es nur um Felder geht. Denn das ist der einzige Moment, der so radikal mit den Reizen der Stadt bricht, dass es sich anfühlt, als würde die Welt stillstehen oder sich zumindest mal in einer angemessenen Geschwindigkeit drehen. Es ist genau das, was ich brauche, um diesen realitätsverzerrenden Illusionen zu entkommen, wie wenn man im Herbst schon riechen kann, wie sich der Frühling im März erst ganz langsam anschleicht und dann im April sehr plötzlich da ist. Ja es erinnert mich daran geduldig zu sein und auf die langsamen Dinge um mich herum zu achten. 


5. November 2022

Kirschen und Glitzer

Zu Jahresbeginn war ich mir so sicher, dass ich in diesem Sommer vor lauter Arbeit kaum Zeit zum Atmen finden werde. Und es war tatsächlich sehr viel Arbeit, aber sie hat sich nur selten so angefühlt. Außerdem waren da ja auch noch Improtheater, Musik, lange Leseabende und mein erstes Mal Luftakrobatik auf dem Heuboden, Wühlmäuse unter dem Zelt, Klavierspiel im Freien bei Kerzenschein und Sternschnuppenregen, lange Spaziergänge, unendlich viele und bunte Lagerfeuer, gute und eher nicht so gute Ideen, viele Versteckspiele, Schaukeln, Bullshit-Tischtennis und witzige Trickshots beim Billard, gemeinsames barfuß durch den Wald und die Nacht schleichen, herzzerreißende Abschiede mit vielen Tränen, absurde Verkleidungen, Kirschen und eine lange Rutsche, Quatsch und Kopfstände auf SUP-Boards, hohe Felswände, flache Gewässer, bei jedem Wetter tanzen und über die Wiesen turnen, viele süße Tiere und, nicht zu vergessen, Worte, die mir in diesem Moment meine kleine Welt bedeuteten. Passend dazu habe ich natürlich, kurz bevor ich wochenlang unterwegs war, mein Handy in der Bahn verloren. Es hat definitiv nicht geschadet, ja vielleicht war es sogar ganz gut. Trotzdem will ich mich daran erinnern, dass ich doch sehr glücklich war mit vielen wundervollen Menschen um mich herum. 


















 











 



17. September 2022

Folg' mir doch in die Hölle

Nur durch dein stechendes Keuchen in meinem Nacken habe ich bemerkt, dass du überhaupt noch im Rennen bist. Ich dachte, ich hätte dich vor Langem abgehängt. Nun scheinen wir auf Augenhöhe zu sein. Das Ziel noch 100 Meter von uns entfernt, als du mich mit diesem verachtenden Blick anstarrst. Oh ja, ich kenne diesen Blick - Schön, dass wir so viel gemeinsam haben.
Was willst du mir noch sagen? Du hast mir bereits vor Jahren gelehrt, dass ich niemals genug sein werde. Du kannst nicht ablassen; Genauso wenig kann ich es. Es wird schon seine Gründe haben, warum wir uns immer wieder diesem Zweikampf stellen, ohne jemals auch nur einen Schritt über die Ziellinie zu treten. Vielmehr ist es eine Flucht. Es macht mir keine Angst, solltest du mich verfolgen. Ich fliehe nicht vor dir, sondern wie so oft vor mir selbst. Ich kann nicht sagen, wohin ich gehöre und es bleibt immer nur so wenig Zeit sich umzublicken und einen sicheren Ort zu finden. 
Die Dunkelheit nimmt mich in den Arm, während die Flammen in mir immer höher schlagen, in der Hoffnung, sie nur irgendwie ersticken zu können. Doch die unendliche Nacht raubt mir ebenfalls den Atem. Sie begreift viel zu langsam, die Wut und ich - wir können nur gemeinsam existieren. Sie ist in mir gewachsen, flächig wie Moos bis in den kleinsten Winkel und an manchen Tagen ist sie meine stärkste Kraft.







26. August 2022

Von Nieselregen und Staub



Über mir an der Haltestelle webte eine Spinne ihr Netz direkt unter der Laterne. Bei Nacht wird sie im Rampenlicht stehen. Fraglich wie sie das wohl finden wird, wenn es soweit ist. Bemerken wird sie vermutlich niemand. Die grauorangen Wolken zogen träge über uns beide hinweg, nur um mich ratlos zurückzulassen. Anlässlich der letzten Gespräche am Lagerfeuer beschloss ich, anstatt meines Handy in die Leere zu starren, woraufhin bald die Frage aufkam, wann ich endlich lerne zu schweigen, wenn mir die passenden Worte und die Erkenntnis der relevanten Umstände fehlen. Ich würde lieber häufiger nichts oder zumindest weniger sagen. Dann gäbe es zwar mehr Stille um mich herum, andererseits wäre es mir das wert, wenn das der Preis ist, um den du endlich wieder beginnst zu sprechen - von den Wurzeln fremder Welten, bunten Klängen und den Wegen, die sich vor dir auftun. Vielleicht möchtest du mitkommen in den Wald, um nach ganz leisen Geräuschen zu suchen? 

 

11. August 2022

Die Fingerspitzen voller Honig

 

Wie hätte ich unter diesen schnelllebigen Umständen die richtigen Worte finden sollen? Ich war viel zu abgelenkt von herbstfarbigen Wangen, ausweichenden Geschichten und den Blicken, von denen ich nicht wusste, ob sie mich lediglich spiegelten oder mir etwas sagen sollten. Für diese kurze Zeit hast du ganz schön viel Raum eingenommen. An meiner Stelle hättest du dich ebenfalls nicht auf das Wesentliche konzentrieren können, oder? War es nur eine Illusion oder konntest du auch kaum stillsitzen? Warst du gedanklich dort, wo wir hätten sein sollen oder dort, wo sich niemand von uns hingetraut hat?