25. Juni 2022

Warst du dort?

 Als ich gestern Abend noch einmal losgezogen bin, um Holz zu sammeln, fiel mir schon im Tal auf, wie der Himmel sich ganz langsam rosa färbte. Da nahm ich mir vor, in diesen Tagen nur auf mich zu achten. Oben auf den Weinbergen angekommen, war der Sonnenuntergang schon so schön, orange-rot, dass ich nicht anders konnte, als bis zum Schluss auf den großen Steinen am Hang zu sitzen und die Sonne zu beobachten wie sie ganz langsam hinter dem Horizont verschwand. 

Wann habe ich mir zuletzt erlaubt auch nur für die Zeit eines Sonnenuntergangs innezuhalten und nichts zu tun, was in irgendeiner Art und Weise produktiv ist? Und wann habe ich zuletzt in den Himmel geschaut und ausschließlich an einen wundervollen Sommer gedacht?

 Als endlich Nacht war und zwischen den Weinreben die Wildschweine anfingen zu grunzen, beschloss ich nach Hause zu gehen, aber nicht über die Plantage, sondern durch den Wald - auf dem Weg, auf dem ich so oft nachts allein gewandert bin, nach Luft ringend, weil ich vor lauter Sorgen vergessen hatte durchzuatmen. - Vom Hang, die Holztreppe hinunter und über die Felder, bis zum Waldrand, als sich schon erahnen ließ, dass diese Nacht besonders ist. 

Der Waldboden und sein Dickicht - ein Lichtermeer. Ich war ganz plötzlich umgeben von hunderten Glühwürmchen, wie ich es noch nie erlebt hatte. Es war so magisch, dass ich mich nicht traute zu summen oder gar zu singen. Ich schwieg, der Wald schwieg und alles was in dieser unendlichen Stille zu hören war, war mein Atem, das Säuseln der Blätter und meine Schritte über dem weichen Waldboden. Ganz langsam schlich ich durch diesen mystischen Ort, völlig überwältigt und verwundert wie viele zauberhafte Wesen vielleicht noch hier wohnen und sich nur so selten von ihrer schönsten Seite zeigen.

Ich erinnerte mich an all die Sachen, die ich in diesem lächerlich schnellen Alltag beinah vergessen hatte - wie ich mich einmal nachts im Harz verlief und wie durch ein Wunder die altbekannte Laterne vor mir auftauchte - wie wir über die umgekippten Baumstämme balancierten und schließlich barfuß durch den Bach liefen, um irgendwie auf der Route zu bleiben. Ich dachte an all die Rehe, denen ich im Wald und auf den Feldern begegnet bin und an den Winter, in dem die Bäume und Wiesen rund um die Kiesgrube so unschuldig und unberührt am Morgen unter dem Schnee ruhten, dass ich mich nicht über meine eisig nassen Füße in den Gummistiefeln beschweren konnte.

Ich weiß nicht wie lange es dauerte, aber es kam mir vor als hätte die Zeit stillgestanden bis ich schließlich an dem verwilderten Gewächshaus und den ersten Straßenlaternen vorüberzog. Mit den ersten Schritten auf dem Asphalt, waren meine Schuhe völlig durchnässt, die Stadt plötzlich wieder ganz laut und die ganzen kleinen Lichter im Wald hinter mir nur noch ganz blass zu erkennen. 

Nicht mehr lange bis ich endlich zurückkehre.






10. Juni 2022

abseits




Wenn wir uns noch einmal am Stadtrand begegnen, würde ich nichts lieber machen als mich wieder mal in deine alte WG zu verirren. Das Holz hat so schön unter den Füßen geknarrt und ich wusste, dass alles herum, der Ort, die Menschen und das Gefühl irgendwie schon Bleiben zu können, neu waren. Die bunten Regentropfen unter deinen Augen erinnerten mich an den Herbst, in dem wir in der Telefonzelle duschen waren und danach trotzdem noch nach Lagerfeuerqualm stanken. Ich hätte mich gern auf deinen Wangenknochen niedergelegt und mich von ihnen berieseln lassen. Unter den paar Menschen, dessen Kunst mich wie ein viel zu starker Magnet an ihnen festhalten lässt, warst du selbst dein eigenes Werk. Unbeständig und wandelbar, aber auch unantastbar. Du hast mich oft inspiriert, mich mehr dem zu widmen, was mir wirklich Spaß macht und Freiraum im Kopf schafft. Hoffentlich bist du okay und träumst noch von schleimig-schrumpeligen Wesen. 


4. Juni 2022

ob vergessen eine Option ist


Wenn ich nachts nochmal laufen gehe, um der drohenden Wut zu entkommen, frage ich mich hin und wieder, ob ich heute mehr Ängste habe als noch vor ein paar Jahren oder ob ich mich unbemerkt alten Ängsten gestellt und sie vergessen habe, sich dafür aber neue eingeschlichen haben. Sie kommen unbemerkt und treffen mich in entscheidenden Momenten direkt in den Bauch. Nur scheint es, als würde ich nie bemerken, wann sie verloren gehen, wie gesammelte Steine, die so lange als Andenken in einer Jackentasche verweilen, bis man sich entscheidet, ein Rad zu schlagen oder über die Wiese zu kullern. 

Ja, ich wäre gern viel mutiger - nicht frei von Ängsten, aber bereit mich ihnen zu stellen, wenn es darauf ankommt. Was braucht es, bis ich die Kriegerin bin, zu der ich hinaufschaue? 

Vermutlich erinnerst du dich nicht, doch als du deine Hand nur ganz leicht auf meinen Rücken gelegt hast, konnte ich direkt diesen altbekannten stechenden Schmerz fühlen, als hättest du mir ganz beiläufig ein Messer in die Nieren gerammt. Ich hab mich wortlos meilenweit von dir entfernen, ohne nur einen Schritt von dir zu weichen. Wie ein Reflex, um mich kurz besinnen zu können, wer du eigentlich bist, wie wir hierhergekommen sind und ob ich gerade lieber woanders wäre.