29. August 2020

Ode an meine Beine





 

Ihr habt mich getragen wie es meine erste große Liebe tat.
- Manchmal wackelig, aber nie so, dass ich je befürchten musste zu fallen.
-durch weichen Strandsand an unbeschwerten Sommerabenden, aber auch über den mit Bluttropfen verzierten Boden mit eiskalten Füßen.

Ihr haltet mich ohne Mühe auf Augenhöhe mit anderen Menschen, sodass ich lernen kann, sie zu lesen, sie zu lieben, ihnen zu vertrauen, sodass sie mich auffangen, wenn ihr es einmal nicht mehr schafft.

Ich weiß, die Wege, die mich am meisten locken, sind zu oft bedeckt mit spitzkörnigen Kies oder schlammigen Lehm und ziehen ganz seltsame Schleifen. Doch ihr lauft sie einfach gemeinsam mit mir, ohne jegliche Pläne in Frage zu stellen. 

Ich schlage mir die Knie auf, laufe mir die Füße auf dem heißen Asphalt wund und lass mich nach dem zehnten gescheiterten Versuch einen Handstand zu machen, in viel zu nasses Gras fallen. Doch ihr steht immer wieder für mich auf, so wie es eine Mutter für ihr Kind tut, nur damit ich weiter meinen Ideen folgen kann. 

Wenn alles zusammenbricht, erlaubt ihr mir meinen Kopf auf euch zu legen und mich hinter euch zu verstecken, so wie es gute Freunde machen. Und wenn uns irgendwann mal jemand dumm kommt, dann werdet ihr ihm einen gehörigen Arschtritt verpassen.

Nach all den Sachen, die wir schon gemeinsam erlebt haben und all den harten Stürzen, die wir ganz locker überlebt haben, hoffe ich, dass ihr noch lange lange an meiner Seite bleibt. Schließlich sind wir gerade erst über Start gelaufen und ein Ziel ist noch lange nicht in Sicht.

28. August 2020

Über die letzten vier Wochen

 

Inmitten von Überlebenden kam ich zum ersten Mal an die Grenze meiner Empathie. Hinter ihr liegt die Schwere der Irreversibilität und Unschuld und alles, was mich auf der unbeschwerten Seite hält, ist ein dünner Vorhang aus Selbstschutz. Hoffentlich bricht er nicht unter dem stetigen Druck der mitleidigen Augen, die einen mit erstaunlich harter Milde auf die andere Seite ziehen wollen. An manchen Tagen liegen hier zwischen größter Lebensfreude und tiefer Verzweiflung nur zwei Blicke. Einer in die Vergangenheit und einer in den Spiegel. Doch kein einziges Mal wurde ich Zeuge der Schwäche. Im Gegenteil. Dieser Ort wird von Helden bewohnt und selbst, wenn sie sich nicht mal allein anziehen können, lassen sie es sich nicht nehmen, jenen, die ihnen ein besonders schweres Leben zuschreiben möchten, mit lächelnden Augen und bunten Masken den Mittelfinger zu zeigen. Bitte lasst euch niemals unterkriegen.  Weint, wann immer euch danach ist, aber nicht, weil die Gesellschaft blind für eure Schönheit ist. Die Tränen der Trauer sowie der Freude wässern mich und ich kann endlich über mich hinauswachsen.