28. Januar 2020

Unweit des Trauerfeuers


Gerade als die letzten Stückchen Marmeladenkuchen aufgeteilt wurden und die letzte Lampe zur Ruhe kam, sodass nur noch Kerzenlicht den Raum erhellte, lehnte ich mich endgültig zurück. Ich fand Frieden auf den Beinen der Menschen, die hinter mir lagen. Es war so eng und warm, aber gleichzeitig fühlte ich mich erfrischt und freier denn je. Nacheinander erhoben sich leise Stimmen und so erzählten wir uns stundenlang die schönsten Geschichten, bis alles gesagt war und Stille einkehrte. Der Abend war ausgeklungen. Nach und nach machte man sich auf den Weg zu seinem Schlafsack. Der Raum leerte sich. Nur einige Wenige blieben, so wie ich. Was hätte ich tun können, um diese einmalig perfekte Stimmung einzufangen? Warum konnte niemand die Zeit verlangsamen? Warum gab es nicht noch mehr Geschichten zu hören? Der Moment war verlebt und die Erinnerung geboren. Wir Verbliebenen rollten uns in die Mitte des Raums und irgendwie auch in das Zentrum des Seins. Wir sangen uns Lieder vor, sprachen in verschiedenen Sprachen und nur ganz selten verstanden wir einander. Doch die Worte wollten uns nicht ausgehen. Wir verschmelzten ineinander, fielen in ein tiefes Loch, in andere Welten und schließlich in den Schlaf. 
Der Morgen danach war kühl und frisch. Es hatte geschneit und ich konnte mich nicht davon abhalten noch einmal innezuhalten um mich an den vereisten Weiten sattzusehen. Aus dem Tipi stieg immer noch der Rauch und der Schichtwechsel begann. Viel mehr Menschen als ich erwartet hatte verließen es und ebenso viele betraten es. Die einen trugen Schlafsäcke und warme Decken hinaus, die anderen ihre Trauer hinein, bereit sie mit den Flammen in den Himmel steigenzulassen. Diese Erfahrung muss so befreiend sein, dachte ich mir, ohne zu realisieren, dass ich vor ein paar Stunden ein ganz ähnliches Glück erfahren durfte.

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