19. Oktober 2019

Ein Tag in meiner Utopie

"Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme."
~Kurt Marti

Es ist schwierig zu beschreiben, was das Utopival ist, wenn man es selbst nicht erlebt hat. Doch ich kann euch sagen, dort  findet man die Menschen, die vorausgehen. Barfuß, mit offenen Armen, einer wärmenden Flamme im Herzen, bereit alle alte Dogmen niederzubrennen. 



In einer perfekten Welt wäre ich von Sonnenstrahlen, die ganz zaghaft in mein Gesicht fallen, geweckt worden. Leider ist das ein Ding der Unmöglichkeit im September in Ganderkesee. Stattdessen höre ich "Don't worry, be happy" fröhlich gepfiffen, begleitet von Gitarre und Rasseln. Im Traum beginne ich zu tanzen und es dauert eine Weile, bis ich realisiere, dass ich an diesem Tag in der Utopistenblase aufwachen darf. Eine Welt in der alles möglich zu sein scheint. Hier bin ich Mensch; hier darf ich sein; denke ich mir und drehe mich mit meinem Schlafsack wieder um. Gefühlt vergehen nur zwei Sekunden. Der Ziegelstein zu meinen Füßen ist noch schön warm und ich bemerke, dass es ungewöhnlich still ist. 
Traurigerweise habe ich nicht nur das Frühstück, sondern auch das Afterfrühstück verpasst. Doch ich bin nicht die Einzige. Es gibt sogar immer noch genug Porridge für alle Langschläfer und, wer hätte es gedacht, unsere Mitmenschen haben uns nicht mit Fackeln und Mistgabeln vom Hof gejagt, weil wir zu spät kamen.
PLENUM. Es ist Plenum. Plenum ist wichtig für die Revolution. 
Der Tag vergeht viel zu schnell. Ich übe Handstand und Acroyoga. Lausche einem weisen Mann wie er aus seinem Leben erzählt während mir Dreads gehäkelt werden. Wir machen Musik, reden, schweigen, lesen, malen, träumen von Entschleunigung und einer Welt, in der jede Stimme Gehör geschenkt wird. Kochen über dem Feuer, liegen in der Hängematte und uns gegenseitig in den Armen. Tag und Nacht draußen. Duschen in einer Telefonzelle. Das Wetter eher wechselhaft. Doch man kann sich mindestens zwanzigmal am Tag freuen, dass die Sonne wieder herauskommt und wenn sie untergeht, dann bleibt immer noch genug Zeit, um am Lagerfeuer zu philosophieren. Über Krieg und Frieden und was die Menschheit wohl zuerst in die Knie zwingen wird. Klimawandel oder Entropie? 
[Achja... Nichts hat mich so erfüllt wie all die Gespräche am Lagerfeuer, die mir die Möglichkeit gaben etwas tiefer in die Herzen einiger dieser unglaublich spannenden Menschen zu schauen.]
Am Ende dieses Abends (Es ist definitiv schon nach 10 Uhr) bleibt ein Glutmeer und die Flammen der Freiheit in uns. Wenn wir in ein paar Stunden wieder geweckt werden, dann werde ich dankbar sein für die ganze Liebe, die ich hier erleben darf und nicht daran denken, dass es irgendwann vorbeigehen wird.
Jetzt ist es schon über einen Monat her, dass ich mich verabschieden musste. Und als sei mein Sommer nicht eh schon zu genüge von radikalen Entscheidungen geprägt, habe ich mich dazu entschlossen auf eine ganz besondere Reise zu gehen. Doch dazu später mehr.


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